Barkenhoff
Bernhard Hoetger. Zwischen den Welten
Hoetger und Vogeler | 17. 3. bis 3. 11. 2024
Zum 150. Geburtstag von Bernhard Hoetger
Am 4. Mai 2024 wäre der Bildhauer, Kunsthandwerker, Maler und Architekt Bernhard Hoetger 150 Jahre alt geworden. Aus diesem Grund widmeten ihm die Worpsweder Museen eine Jubiläumsausstellung, die zeitgleich im Barkenhoff, der Großen Kunstschau und der Worpsweder Kunsthalle zu sehen war. Der Titel ›Zwischen den Welten‹ steht programmatisch für einen Künstler, der zeitlebens ein Wanderer zwi- schen Stilen, Gattungen und politischen Auffassungen war.
Die Ausstellung ›Hoetger und Vogeler‹ im Barkenhoff warf einen vergleichenden Blick auf Heinrich Vogeler und Bernhard Hoetger, wobei Vogeler in jüngeren Jahren eher dem Jugendstil zuzurechnen ist, Hoetger dagegen dem Expressionismus. Übereinstimmungen wie auch Gegensätze im Werk beider Künstler während ihrer gemeinsamen Zeit in Worpswede aufzuzeigen, war das Anliegen dieser Sektion.
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Ausstellungsansicht Hoetger und Vogeler, 2024
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Ausstellungsansicht Hoetger und Vogeler, 2024
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Ausstellungsansicht Hoetger und Vogeler, 2024
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Ausstellungsansicht Hoetger und Vogeler, 2024
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Ausstellungsansicht Hoetger und Vogeler, 2024
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Ausstellungsansicht Hoetger und Vogeler, 2024
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Ausstellungsansicht Hoetger und Vogeler, 2024
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Ausstellungsansicht Hoetger und Vogeler, 2024
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Ausstellungsansicht Hoetger und Vogeler, 2024
Texte zur Ausstellung
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Im Jahr 1900 war Heinrich Vogeler ein im In- und Ausland erfolgreicher Maler, Graphiker und Designer. Er gehörte zur Gründergeneration der Künstlerkolonie in Worpswede. Der ›Barkenhoff‹, sein als Gesamtkunstwerk gestaltetes Wohn- und Arbeitshaus, war das geistige und gesellschaftliche Zentrum der Gemeinschaft und weit darüber hinaus. Vogeler verschrieb sich selbst einer fiktiven Welt der Märchen und Mythen und machte seine Muse Martha Schröder, die er 1901 zur Frau nahm, zu einem Teil seines ›irdischen Paradieses‹.
Ganz anders sah zu jener Zeit das Leben Bernhard Hoetgers aus. Der ausgebildete Steinmetz hatte gerade seine Ausbildung an der Kunstakademie Düsseldorf abgeschlossen, als er 1900 zur Weltausstellung nach Paris reiste und spontan beschloss, dort zu bleiben. Die entbehrungsreiche erste Zeit spiegelt sich in seinen frühen Werken wie in der hier ausgestellten Bronze Bettler. Doch schon bald stellten sich erste Erfolge ein und Hoetger wurde in Frankreich wie Deutschland als wichtiger zeitgenössischer Bildhauer wahrgenommen. Am 17. Juni 1905 heiratete er die russische Konzertpianistin Hélène Natalie Haken, genannt Lee.
Auch Paula Modersohn-Becker war fasziniert von Paris und belegte während mehrerer Aufenthalte Kunstkurse an verschiedenen Akademien. 1906 suchte sie Bernhard Hoetger in Paris auf, von dessen Arbeiten sie tief beeindruckt war.
Aus dieser ersten Begegnung entwickelte sich
eine Freundschaft, die auch das weitere Leben Hoetgers prägen sollte. Als er nach Beendigung eines Großauftrags für die Darmstädter Mathildenhöhe einen Ort suchte, um sich dauerhaft nieder- zulassen, fiel seine Wahl auf Worpswede.»Es wurde mir in den Jahren immer klarer, daß eine Landschaft, in deren Luft eine Kunst wie die der Paula Modersohn groß werden konnte, auch für mein Schaffen die rechte Atmosphäre sein müsse.« Hoetger erwarb ein Grundstück in direkter Nachbarschaft Heinrich Vogelers und errichtete dort seinen ›Brunnenhof‹, ein Gesamtkunstwerk aus imposanter Architektur, Innenarchitektur, Malerei, Bildhauerei, Kunsthandwerk und Gartenkunst.
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Für den Gerechtigkeitsbrunnen, den August Freiherr von der Heydt um 1909 bei Hoetger in Auftrag gab, wählte der Bildhauer eine Pathosformel, d. h. die Darstellung eines Gefühlsausdrucks, dem eine universale Gültigkeit unterstellt wird. Die ausgestreckten Arme und der Blick der monumentalen Brunnenfigur sind nach oben gerichtet und verweisen auf die von Hoetger so oft zitierte geistige Welt. Auffällig ist die große Ähnlichkeit, die der Kopf der Figur in Umriss und Haltung mit der 1906 in Paris entstandenen Bronze Gedankenflug hat, die in der Großen Kunstschau zu sehen ist. Durch die wie Waagschalen geöffneten Handflächen und die Inschrift »Des Gerechten Mund ist ein lebendiger Brunnen« (Sprüche Salomo) erscheint die Figur wie eine freie Interpretation der römischen Göttin Justitia.
1911 schuf Hoetger für die Künstlerkolonie in Darmstadt ein Skulpturenensemble im dortigen Platanenhain. Als übergreifendes Thema dieses Gesamtkunstwerks wählte er den immerwährenden Kreislauf des Lebens, das Werden und Verge- hen in der Natur. Hauptwerk ist die Sterbende Mutter mit Kind. Auf dem Schoß der zurücksinken- den Liegenden sitzt aufrecht ein Kind, einer Buddha-Figur gleich. Es hält einen Apfel in den Händen, Symbol der Fruchtbarkeit und wegen seiner Kugelform zugleich Sinnbild der Ewigkeit. Das altindische Wort ›Buddha‹ bedeutet so viel wie ›der Erleuchtete‹.
Vogeler fügte 1920 Pathosformel und Kindsgestalt in seinem Gemälde Die Freiheit der Liebe (Die Geburt des neuen Menschen) zusammen. Durch den spitz-ovalen Hintergrund, der Keimzelle wie Strahlenkranz sein kann, erzeugte er hier den Eindruck des Gebets, die Haltung der Frau erscheint demütig und hoffend zugleich. Erst auf den zweiten Blick ist das kleine, als Buddha gestaltete Kind zu erkennen, das zu ihren Füßen sitzt. Für Vogeler war das Motiv des neu geborenen Menschen von zentraler Bedeutung, sah er doch gerade in der Erziehung junger Menschen den Schlüssel zum Aufbau einer neuen, klassenlosen Gesellschaft.
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Nach dem frühen Tod Paula Modersohn-Beckers ordnete ihr Ehemann Otto Modersohn zusammen mit Heinrich Vogeler den Nachlass der Künstlerin, und gemeinsam bemühten sie sich um Ausstellungen ihrer Werke. Vogeler sollte nach dem Willen Modersohns auch das Grab gestalten, das Paula fünf Jahre zuvor in ihrem Tagebuch beschrieben hatte: »Ich habe manchmal an mein Grab gedacht [...] Es sei ein viereckig längliches Beet mit weißen Nelken umpflanzt. Darum läuft ein kleiner sanfter Kiesweg, der wieder mit Nelken eingefaßt ist und dann kommt ein Holzgestell, still und anspruchslos, und da, um die Wucht der Rosen zu tragen, die mein Grab umgeben. Und vorne im Gitter, da sei ein kleines Tor gelassen, durch das die Menschen zu mir kommen, und hinten sei eine kleine anspruchslose stille Bank, auf der sich die Menschen zu mir hinset- zen.«
Auch Bernhard Hoetger, der Paula erst im Jahr vor ihrem Tod kennengelernt hatte, aber ihr freundschaftlich eng verbunden gewesen war, setzte sich durch die Vermittlung von Verkäufen an Museen und Kunstsammler dafür ein, ihr Werk bekannter zu machen. Gegenüber Otto Modersohn pochte er darauf, etliche Bilder aus dem Nachlass zu erhalten und berief sich dabei auf ein Versprechen der Künstlerin. Im Gegenzug sicherte er dem Witwer zu, ein würdiges Grabmal zu gestalten.
Hoetger entwarf 1911 zunächst ein Grabrelief mit einer Darstellung dreier unbekleideter Figuren, die Werden, Sein und Vergehen personifizieren sollten. Die Gestaltung wurde vom Kirchenrat in Worpswede als anstößig empfunden und mit dieser Erklärung abgelehnt. Auch Heinrich Vogeler legte 1911 einen Entwurf vor, der ebenfalls abgelehnt wurde, die Begründung ist leider nicht überliefert. Das schließlich realisierte Grabmal steht in engem Zusammenhang mit der Skulptur Mutter mit Kind, Herzstück des Skulpturenensembles im Darmstäd- ter Platanenhain. Nach einem von Hoetger gefertigten Tonmodell wurde 1914 die größere Fassung für Darmstadt und um 1917 die kleinere Ausführung für Worpswede in Gussstein gefertigt.
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Während der Erste Weltkrieg bei Heinrich Vogeler zu einer tiefgreifenden Veränderung seiner Weltanschauung führte – er wandte sich von seinen romantischen Idealen ab und setzte sich vehement für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft ein – reagierte Hoetger auf die Umbrüche nur insoweit, als sie ihn persönlich betrafen. Und während Vogeler in den 1930er Jahren sehr klar Stellung bezog gegen die politische Entwicklung in Deutschland, ist bei Hoetger genauso klar die Bereitschaft zu erkennen, sich dem System anzupassen in dem Glauben, seine Kunstauffassung und das Wollen der NSDAP würden den gleichen Zielen folgen.
Hinsichtlich Glaube und Religion lagen Vogeler und Hoetger deutlich näher beieinander. Vogeler war der Überzeugung, dass das UrChristentum die moderne Gesellschaft – durch Berufung auf Werte wie Gemeinschaftlichkeit, Liebe und Wertschätzung des Individuums – revolutionieren könne. Die Gotteshand in segnender Geste in seiner Radie-ung Vision von 1914 offenbart diese Gläubigkeit, die bis dahin in seiner Kunst so nicht sichtbar war.
Hoetgers religiöse Vorstellungen zu verstehen ist ungleich schwieriger. Wie historische Fotos belegen, umgab er sich mit Werken aus eigener Hand, die einen direkten Bezug zum Christentum aufweisen: So erinnern die beiden Mütter mit Kind in der Diele des Brunnenhofes trotz ihrer sehr spärlichen Verhüllung an Madonnen, und auch Werke wie der Christuskopf und das Kruzifix belegen dies. In Hoetgers Aufzeichnungen und Essays finden sich aber auch Hinweise auf mystische, naturreligiöse, nordisch-germanische und neuheidnische Ideologien. Allen diesen liegt ein zyklisches Weltbild zu Grunde, das Mensch, Natur und Kosmos als eine göttliche Einheit versteht, als einen ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens. In diesem Sinne verstand sich Hoetger als Priester einer neuen Zeit, der durch seine Kunst lehrt: »Die Kunst schafft das ethische Gehirn.« Vogeler äußerte sich 1920 sehr ähnlich: »Der Expressionist ist der Schöpfer einer neuen Welt.«
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1918 kehrte Vogeler desillusioniert und politisiert aus dem Krieg zurück. Seine sozialutopischen Ideen einer klassen- und besitzlosen Gesellschaft versuchte er auf dem Barkenhoff zu verwirklichen. Er war damit nicht allein – in den frühen Jahren der Weimarer Republik gab es eine Fülle von Siedlungsgründungen. Auch mit Hoetger diskutierte Vogeler diese Ideen, wie er in seinen ›Erinnerungen‹ notierte.
Zur Barkenhoff-Kommune zählten von Beginn an Werkstätten für den eigenen Bedarf. Die finanzielle Not veranlasste sie recht bald, auch für den Verkauf zu produzieren. Als ›Worpsweder Handwerker- Gilde‹ wurden sie ab Dezember 1920 – neben dem Verkauf von Vogeler-Graphiken – zur wichtigsten Einnahmequelle der Gemeinschaft. Hier arbeiteten Hoetger und Vogeler Hand in Hand. »Mining [Vogeler] deutet mit wenigen Strichen die Idee an, alles ist durchschaubar. Hoetger aber bringt Kohlezeichnungen. Oft sind es große Entwürfe, und diese arbeitet er mit den Gürtlern durch, bis sie den Sinn verstanden haben.«, erinnert sich Walter Hundt, ein Freund Vogelers. Hoetger führte auch eigenhändig Treibarbeiten aus wie das Porträt der Tänzerin Olga Breling.
Nach Auflösung der Kommune wurde Hoetgers zweites Wohnhaus, an dessen Bau seit 1921 viele Barkenhoff-Mitglieder mitgewirkt hatten, zum Anlaufpunkt für viele Künstler und Kunsthandwerker im Ort. Im Mai 1923 gründete Hoetger die ›Wirtschaftliche Vereinigung Worpsweder Künstler‹ zur Weiterführung seiner kunsthandwerklichen Projekte. Die Handwerker in Töpferei und Metallwerkstatt arbeiteten nach seinen Skizzenbüchern, die Anregungen für Formen und Dekore enthielten. Hoetger kaufte die Erzeugnisse, wenn sie seinem Kunstsinn entsprachen, und verkaufte sie auf eigene Rechnung. Das von ihm entworfene Signet, ein runenähnliches Werkstattzeichen aus einem Dreieck und einer dreiteiligen Gabelung, diente zur Markierung der Erzeugnisse und wurde bis 1927 verwendet.
Die Möbel, die er für das Kaffee Worpswede herstellen ließ, publizierte er in einem Verkaufskatalog und verkaufte sie auch an Privat.
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Der Kaffee HAG-Unternehmer und Mäzen Ludwig Roselius errichtete in den 1920er Jahren in der Böttcherstraße in Bremen ein Gesamtkunstwerk aus moderner Architektur und traditionellem Handwerk. Mit den drei Architekten Eduard Scotland, Alfred Runge und Bernhard Hoetger verwirklichte er hier seine Idee von einem kulturellen Aufbruch in die Moderne.
Die dort angesiedelten Werkstätten – Tischlerei, Drechslerei, Metallwerkstatt mit Gold- und Silberschmiede, Töpferei und Keramikwerkstatt für glasierte Gefäße – sollten nach Roselius' Vorstellungen die Belebung des niederdeutschen Handwerks fördern. Sie waren im Paula-Becker-Modersohn-Haus rund um den sogenannten Handwerkerhof gruppiert und hatten große, ebenerdige Fenster, damit die Ausübung des Handwerks sichtbar wurde. Unter Hoetgers Leitung entstanden nur Arbeiten, die sein Einverständnis fanden und seine künstlerische Handschrift trugen. Sie waren anfangs von seinem expressiven Stil geprägt, in dem astronomische und astrologische Motive eine besondere Rolle spielten. Nach einer Parisreise 1929 entstanden vermehrt Luxusgegenstände für den bürgerlichen Salon im neuen Stil. Für die Herstellung wurden teils seltene und edle Materialien verwendet und die Erzeugnisse waren entsprechend teuer. Die Werkstätten lieferten auch die Stühle und Tische für die Einrichtung des Paula-Becker-Modersohn-Hauses sowie die Einrichtung zahlreicher HAG-Cafés und -Probierstuben im In- und Ausland.
Nach der politischen Kontroverse um das von ihm erbaute Haus Atlantis und den damit verbundenen Angriffen gegen ihn verließ Hoetger Bremen 1931, die Werkstätten ›Zu den Sieben Faulen‹ bestanden weiter bis 1941.
Der Name der Werkstätten leitete sich ab aus einer Erzählung des Bremer Schriftstellers Friedrich Wagenfeld (1810 – 1846): Die sieben faulen Söhne eines Bauern ziehen hinaus in die Welt und lernen dort viele nutzbringende Dinge kennen sowie innovative Techniken, die das Leben leichter machen. Doch als sie daheim das Gelernte anwenden, wirft man ihnen wieder nur vor, zu faul für harte Arbeit zu sein.
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